Retro Review
Coverscan
© Infogrames/Atari

Stuntman

Die Driver-Spiele ebneten den Weg für ein ganzes Genre, bei dem man in einer frei begeh- und befahrbaren Stadt Missionen zu erfüllen hat oder auch mal nach Lust und Laune mit der Umgebung interagieren kann. Heute noch populäre Serien wie Grand Theft Auto, Saints Row oder Crackdown waren aber erst ab der Playstation 2 wirklich möglich und den ersten beiden Driver-Spielen für die Vorgängerkonsole merkt man an jeder Ecke an, dass die veraltete Technik mit den Ambitionen der Entwickler von Reflections nicht immer mithalten konnte. Umso erstaunlicher ist es, dass man für das Debut auf der Playstation 2 mit Stuntman ein äußerst lineares und striktes Spielkonzept ohne wirkliche Freiheiten wählte.

Man übernimmt die Rolle eines Stuntmans, der in insgesamt sechs Filmen in einer Vielzahl an Fahrzeugen halsbrecherische Manöver vollführen muss. Der Weg durch die einzelnen Szenen jedes Films ist genau vorgegeben und muss in der Regel sehr exakt eingehalten werden. Dabei helfen häufige Ansagen des Regisseurs per Funk, aber auch optische Markierungen. Gängige Manöver sind Überholen, zwischen Objekten durchfahren, nahes Vorbeifahren an Explosionen, Sprünge oder 180°-Drehungen. Dazu gesellen sich unter anderem ein Nitroboost, das Zünden von Bomben oder der Schleudersitz – solche besonderen Aktionen werden per Druck auf L1 ausgeführt und stellen oft die Höhepunkte des jeweiligen Films dar. Die Steuerung ist stark an die ersten beiden Driver-Spiele angelehnt, kann also recht ausladend sein, jedoch immer motivierend und nachvollziehbar. Einzige wirkliche Neuerung ist das analoge Ansprechen der Knöpfe des Dualshock 2, was aber im Falle von Stuntman – im Gegensatz zu vielen anderen Spielen für die Konsole – tatsächlich eine gute Entscheidung darstellt. So lässt sich das Beschleunigen und Bremsen situativ sehr präzise dosieren, wirklich lange am Stück muss nicht gedrückt werden.

Die Filme folgen in der Regel einem eindeutig erkennbaren Vorbild. "Toothless in Wapping" ist ein englischer Gangster-Film mit geringem Budget, "A Whoopin and a Hollerin" bedient sich eindeutig bei Dukes of Hazard, "Blood Oath" ist ein Action-Thriller in Bangkok im Stile von John Woo, "Conspiracy" spielt in den Alpen und erinnert an Mission: Impossible oder Spionage-Filme von Tom Clancy. "The Scarab of the Lost Souls" ist eindeutig eine Hommage an Indiana Jones, während "Live Twice for Tomorrow" auf neurere James-Bond-Filme anspielt. Jeder Film ist in vier bis fünf Szenen aufgeteilt, wobei ab dem zweiten Film die einzelnen Szenen an Länge gewinnen. Jede Szene will am Stück gemeistert werden, allerdings sind manche davon recht lang und erfordern daher häufige Wiederholungen, um die Veilzahl an Manövern nacheinander fehlerfrei auszuführen.

Leider ist das auch der größte Kritikpunkt an Stuntman – das Spiel setzt stark auf Versuch und Irrtum und unterstützt manchmal nicht ausreichend beim Lernen der einzelnen Szenen. In vorgerenderten Zwischensequenzen gibt der namenlose Stuntman Interviews am Rande des Drehs und schildert einzelne Abschnitte der folgenden Szene. Teilweise gibt es vor Beginn des Drehs auch Hinweise des Regisseurs zu zentralen Manövern. Einen wirklichen Überblick erhält man vorab aber leider nicht. Hier wäre eine einblendbare Karte oder eine Demonstration im Voraus sehr hilfreich gewesen. Letzteres hätte ohne Probleme über die vorhandene Wiederholungsfunktion integriert werden können. Einzig eine Leiste am oberen Bildrand informiert grob über den Fortschritt innerhalb der jeweiligen Szene. So tastet man sich langsam vor, muss sich den optimalen Weg durch jede Szene aber über häufige Wiederholungen selber aneignen.

Hierbei ist Stuntman trotz so manchem Frustmoment sehr motivierend und oft will man nach Meistern einer Szene direkt mit der nächsten weitermachen, bis der ganze Film im Kasten ist. Belohnt wird der Abschluss jedes Films mit einem Trailer, der hauptsächlich vorgerenderte Charaktere samt Vertonung zeigt, jedoch auch um echte Spielszenen einiger Schlüsselmomente angereichert ist. Die Renderqualität bewegt sich dabei leicht über dem Niveau von Driver 2, ist also nicht weltbewegend, aber die Trailer sind allesamt unterhaltsam gestaltet. Überhaupt merkt man an jeder Ecke, wie viel Spaß die Entwickler bei der Konzeption und Umsetzung des Spiels hatten. Die Inszenierung wirkt sehr filmisch, zu jedem Film gibt es neben dem Trailer auch eine Art Filmplakat und auf der DVD findet man sogar "Bonusmaterial" in Form von Werbespots zum Spiel, Interviews mit echten Stuntmen oder Trailer anderer Spiele von Infogrames/Atari. Doch damit nicht genug – neben Minispielen ähnlich der Driver-Spiele gehört auch ein Editor zum Umfang des Spiels, der es erlaubt, in einer kleinen Arena Rampen, Loopings und Hindernisse zu platzieren.

Die Grafik ist realistisch gehalten, wirkt aber gleichzeitig recht statisch und karg. Es werden nicht viel mehr Details als in Driver 2 geboten und viele Objekte wirken recht kleinteilig. Trotzdem geht die Bildrate bei Explosionen regelmäßig in die Knie und an einigen Stellen teilweise auch so, dass die Spielbarkeit darunter leidet. Hier wäre ein wenig mehr Optimierung und vielleicht der eine oder andere Effekt weniger wünschenswert gewesen. Ebenso können die Ladezeiten recht lang ausfallen, besonders bei mehreren Versuchen einer Szene.

Wer die frühen Teile der Driver-Reihe mag, dürfte mit Stuntman ebenfalls Spaß haben. Es bietet eine auch heute noch frische Spielidee und schafft es, trotz mancher Frustmomente durchgehend zu motivieren. Kleinere Optimierungen bei den Ansagen oder etwas mehr Material zur Vorbereitung der einzelnen Szenen wäre wünschenswert gewesen, um das Frustpotenzial zu lindern. Trotzdem sollten geduldige Spieler mit Toleranz für Versuch und Irrtum auf jeden Fall einen Blick riskieren. Das Spiel hat ein hohes Belohnungspotenzial und bietet zahlreiche unterhaltsame Momente, die so nirgendwo sonst zu finden sind – auch nicht im von Paradigm Interactive entwickleten Nachfolger Stuntman: Ignition.

Filipp Münst