Retro Review
Coverscan
© SNK

NAM-1975

Als SNK den Shooting-Gallery-Titel NAM-1975 zum Start des Neo Geos erschienen ließ, zeichnete sich noch nicht ab, dass dieses sowohl in der Spielhalle als auch zu Hause ein gefeiertes Topsystem für 2D-Prügelspiele werden sollte. Dabei wagte man sich mit dieser Vietnamkriegs-Persiflage an ein Szenario heran, das sicherlich nicht überall auf Gegenliebe stieß, zumal bei Erscheinen des Spiels Anfang der 90er-Jahre der Vietnamkrieg in Medien und Popkultur der USA immer noch allgegenwärtig war. In einem fiktiven Jahr 1975 muss eine Spezialeinheit noch einmal in die 'grüne Hölle' zurück, um Dr. R. Muckly, einen ehemaligen US-Wissenschaftler, zurückzuholen. Er soll mitsamt seiner Tochter Nancy entführt worden sein, jedoch stellt sich heraus, dass er übergelaufen ist, seine Tochter als Geißel mit sich führt und an einer alles zerstörenden Laserwaffe arbeitet. Die Geschichte wird erzählt in zeichnerisch nicht unbedingt wertvollen Standbild-Zwischensequenzen, die in allen Versionen mit englischer Sprachausgabe unterlegt sind. Zwischen den sechs Missionen halten immer wieder kleine Wendungen die Spannung aufrecht, was dem Spiel eine cineastische Note verleiht, die kaum zufälligerweise an Filme wie Full Metal Jacket oder Apocalypse Now erinnert.

Der große Bruch erfolgt dann, wenn selber Hand angelegt wird. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Zwischensequenzen den atmosphärischen Höhepunkt des Spiels darstellen, jedoch erzeugen sie mit ihren großformatigen Zeichnungen und der düsteren Musikuntermalung eine bedrückende Stimmung, während das tatsächliche Spielgeschehen von sehr kleinteiligen, zumeist comichaften Gegnerscharen bestimmt ist, die nichts weiter wollen, als dem hilflos erscheinenden US-Soldaten das Leben schwer zu machen, indem sie ihn unaufhaltsam unter Beschuss nehmen. Und obwohl manche der Antagonisten grunzen, kreischen oder gar explosive Fässer mit sich herumtragen, sollte man sie wirklich ernst nehmen. NAM-1975 ist ein sehr schwieriges Spiel, das den Spielhallen-Charme der 80er-Jahre atmet. Nicht programmiert, um einen angenehmen Zeitvertreib zu bescheren, sondern um dem Publikum die Geldstücke aus der Tasche zu ziehen und trotzdem die Illusion zu erhalten, eines Tages durchzumarschieren. Doch das wird nicht passieren, zumindest nicht alleine. Menschliche Unterstützung ist unversichtbar im Kampf gegen die vietnamesischen Horden – alleine ist man schlichtweg überfordert inmitten des Kugelhagels.

Man blickt der Spielfigur über den Rücken und den Gegnern direkt entgegen, wie in einer Schießbude. SNK bedienten sich für ihr Debüt auf dem eigenen System dem etwas obskuren Shooting-Gallery-Genre, dem etwa auch Cabal, Blood Bros. oder Dynamite Duke zugerechnet werden. Dabei steuert der Stick sowohl das Fadenkreuz als auch die Spielfigur (nach links oder rechts). Normalerweise bewegt sich das Fadenkreuz schneller als die Spielfigur, dies lässt sich jedoch umkehren, indem man C gedrückt hält. Steuert man nun nach links oder rechts, rennt die Spielfigur und das Fadenkreuz bewegt sich nur langsam mit – so lassen sich schnelle Positionswechsel bewerkstelligen, ohne die gegnerischen Ziele aus dem Visier zu lassen. Der C-Knopf beherbergt noch eine weitere überlebenswichtige Funktion: In Kombination mit einer Stick-Bewegung in die linke oder rechte untere Ecke vollführt der US-Soldat ein Ausweichmanöver in Form einer Rolle seitwärts, währenddessen er von normalen Projektilen nicht getroffen werden kann. Diese kurzzeitige Unverwundbarkeit gilt jedoch nicht für großkalibrige Schüsse und Explosionen, außerdem sollte man es tunlichst vermeiden, direkt im Kugelhagel zu landen, da für einen Moment nach dem Ausweichmanöver kein weiteres möglich ist und man daher kurz äußerst verwundbar ist. Sowohl Schießen als auch Granaten werfen ist nur bei Stillstand möglich, somit mündet das Gameplay in einem ständigen, adrenalingeladenen Wechsel aus Feuer, Positionswechsel und Ausweichmanövern. Die Steuerung kann als gelungen bezeichnet werden und reagiert auch in chaotischen Situationen präzise, womit sich das Spiel trotz des hohen Schwierigkeitsgrads größtenteils fair anfühlt.

Die Palette an verfügbaren Waffen ist – ebenso wie die der gegnerischen Einheiten – nicht übermäßig vielfältig, jedoch angemessen. Nachschub erhält man zumeist aus Kisten, Munitionsfahrzeugen oder Hubschraubern, die abgeschossen werden wollen. Vor allem an Granaten mangelt es nicht; die schnellfeuernde Standardwaffe wird hingegen nur selten gegen noch schneller feuernde oder gar flammenwerfende Schießeisen getauscht. Die Hintergründe der sechs Abschnitte sind zwar allesamt in der gleichen Farbgebung gestaltet, geben sich inhaltlich aber abwechslungsreich und kosten so ziemlich alle Schauplätze aus, die das Szenario bietet: einen Militärflughafen, eine Fabrik, eine zerstörte Stadt, ein Waffendepot, selbstverständlicherweise den Dschungel und sogar eine Kampfeinlage über den Wolken.

Die Grafik ist zwar stimmungsvoll, jedoch wirken die gegnerischen Sprites im Vergleich zu späteren Spielen auf dem Neo Geo fast lächerlich klein. Die Animationen gelingen sehr flüssig, es mangelt nicht an Effekten und die Zoom-Fähigkeiten der Hardware werden anhand mancherlei übergroßen Kriegsgeräts ganz gut unter Beweis bestellt. Die Bildrate bleibt auch bei großen Gegneransammlungen meistens flüssig, außer bei Einsatz des Flammenwerfers oder wenn große Sprites aufgrund von Beschuss zum Blinken gebracht werden. Gepaart mit der einwandfreien Musikuntermalung ist das Spiel technisch für sein Alter insgesamt über jeden Zweifel erhaben, jedoch nur, wenn man es mit Spielen für damalige Heimkonsolen vergleicht. In der Spielhalle – und das sollte der Maßstab für Titel auf dem Neo Geo sein – gab es seinerzeit schon weitaus Spektakuläreres. Bei Erscheinen auf CD im Jahr 1994 wirkte NAM-1975 audiovisuell dann endgültig antiquiert. Das veraltete Erscheinungsbild schmälert jedoch keinesfalls die morbide und trotzdem augenzwinkernde Stimmung, die das Spiel mit sich bringt. Die Gewaltdarstellung ist teilweise drastisch, gleichzeitig lockern aber immer wieder fast ulkige Details das Geschehen auf. Somit kann das Wagnis, ein Vietnamkriegs-Spiel zu programmieren, das einerseits atmosphärisch dicht und einigermaßen glaubwürdig erscheint, andererseits aber keinesfalls kriegsverherrlichend sowie eindeutig parodistisch angelegt ist, als gelungen bezeichnet werden.

Ironie der Geschichte, dass die Coverzeichnung bei der kleinen europäischen Auflage der Modulversion geschwärzt ist, und zwar amateurhaft mit einem handelsüblichen Filzstift. Doch nicht etwa aufgrund irgendwelcher Kriegssymbolik, sondern weil die Frau auf dem Cover zu viel Dekolleté sowie Bein zeigt. Offenbar entschied sich SNK angesichts des strikten Jugendschutzes in Deutschland zu diesem Schritt, unwissend, dass das Spiel wohl nur knapp einer Indizierung aufgrund seines kriegsnahen Inhalts entgangen sein dürfte. Dabei ist die geheimnisvolle Blondine an den drei Stellen im Spiel, an denen sie auftaucht, die einzige Rettung: Befreit man sie aus den Händen der Gegner, ballert sie bis zum nächsten Lebensverlust eine Runde mit. Blondine hin oder her ist Unterstützung durch Spieler 2 zum tatsächlichen Meistern des Spiels unabdingbar. Nimmt man NAM-1975 nicht zu ernst und sieht man über das insgesamt etwas monotone Spielgeschehen hinweg, bietet es einen unterhaltsamen Abend zu zweit und die ideale Einstimmung auf den Antikriegsfilm im Anschluss.

Filipp Münst